Aus dem Reformationsgeschehen

Im Jahre 1925 kam im Verlag von Friemann, Aurich, eine recht aufschlussreiche Schrift: „Die Reformation Ostfrieslands nach der Darstellung der Lutheraner vom Jahre 1593 des Lic. Heinrich Garrelts (Domprediger und Superintenden zu Verden) heraus. Für den Leser bringt diese Schrift allerdings über örtliche Vorgänge innerhalb der reformatorischen Bewegung – und zwar auf das Overledingerland bezogen – kaum etwas. Es ist auch für den Verfasser recht schwierig gewesen, im Verlauf langer Jahrzehnte darüber etwas aus Quellen des 16. Jahrhunderts zu erfahren. Auf jeden Fall steht fest, dass die Umwälzung des kirchlichen Lebens vom alten zum neuen Glauben in unserem Gebiet ein langsamer Prozess gewesen ist. Es ist völlig undenkbar, dass sich die ältere Generation schnell umstellen konnte. Einen der ersten Eingriffe ins kirchliche Leben erlebten die Gemeinden nach 1528 von landesherrlicher Seite. Graf Enno II. ( 1528 – 1540) schickte nach dem Ableben seines Vaters und dem Regierungsantritt Beauftragte im Land umher, um aus den Gotteshäusern alle „Überbleibsel“ der alten Kirche zu beseitigen. Ein solches Verfahren, gleich alle Messbücher, goldene und silberne Kirchengeräte mitzunehmen, entsprach durchaus den Praktiken der landesherrlichen Gewalt. Übrigens bekam Enno II dafür noch ein Vorbild von seinem Oldenburger Verwandten, dem dort regierenden Grafen Anton, der noch weit rigoroser vorging und den Gemeinden nicht nur Wertgegenstände, sondern auch Liegenschaften fortnehmen ließ. Das durften die Landesherren in Ostfriesland allerdings nicht wagen. Die Stände hätten dann gewiss Front gegen ein solches Vorgehen gemacht.

Völlig offen ist geblieben, wie sich die Pfarrgeistlichkeit des Overledingerlandes den ersten Anfängen der Reformation gegenüber verhalten hat. Ihre Ratlosigkeit würden wir in der historischen Rückschau gern verstehen. Nun konnte man zwar alle Pastoren der alten Kirche nicht einfach über Nacht absetzen, aber über ihre Zukunft mussten diese sich doch Gedanken machen. In Grotegaste wirkte 1521 noch der Geistliche Engelbert, von dem wir den Zunamen nicht kennen. Wie im Spätmittelalter, so sind um 1521 die Ortspastoren gewiss noch mit ihren Vornamen angeredet worden, denen man einfach das Wort „Heer“ (Herr) vorsetzte. Wie lange Herr Engelbert in Grotegaste wirkte, ist nicht mehr festzustellen. Einer seiner Nachfolger war der erst 1559 erwähnte Prediger Johann Nepos, der von Grotegaste später in die Critzumer Pfarrstelle überwechselte. Zwischen Engelberts und Nepos Amtszeit liegen also mehrere Jahrzehnte. Das gesamte Overledingerland dürfte damals der reformierten Konfession zugetan gewesen sein. Diese wurde übrigens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im besonderen Maße vom Grafen Johann von Ostfriesland, dem die Mutter Gräfin Anna den Süden und einige westliche Ämter zur Regierung übertragen hatte, gefördert. Während sich nach seiner Zeit im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschiedene Gemeinden im Overledingerland (Steenfelde, Breinermoor, Backemoor usw.) der lutherischen Lehre zuwandten, blieb Grotegaste bis heute der reformierten Konfession erhalten.

Schon lange vor 1559 muss in Grotegaste die reformierte Lehre Eingang gefunden haben, insbesondere ausgelöst durch Einflüsse aus den Niederlanden. Dort wurden vielfach auch reformierte Prediger ausgebildet, zu denen gewiss auch der vorerwähnte Nepos gehört haben wird. Bis die in der neuen Lehre ausgebildeten Prediger in Dienst gestellt werden konnten, mussten die Gottesdienste von den im Land und ihren Gemeinden verbliebenen Priestern der alten Kirche gehalten werden. Letztere standen ja vor der Wahl, zur neuen Lehre überzutreten oder außer Landes zu gehen. Wie sie ihre Gottesdienste im Fall ihres Verbleibens gestaltet haben, das muss für immer ein Rätsel bleiben. Die Gemeindemitglieder konnten darauf wohl kaum Einfluss nehmen. Diese werden als einfache Leute auch nicht Partei für eine der sich dauernd streitenden Gruppen der Lutheraner und Reformierten genommen haben, insbesondere, da sich diese Auseinandersetzungen ja zwischen den Intellektuellen der beiden Konfessionen abspielten. Von dem einfachen Landmann war nicht zu erwarten, dass er sich in Glaubensfragen jener Zeit auskannte. Schreiben und zu lesen verstand er nicht, neue Kenntnisse in religiösen Fragen waren ihm wohl kaum zu vermitteln und deshalb konnte er sich nur nach dem richten, was der Ortspfarrer in den Gottesdiensten von sich gab.

Im Ausgang des 16. Jahrhunderts, also in der Nachreformationszeit werden uns 1583 Alarich S....ius und 1584 Gerhard ter Ham als Prediger zu Grotegaste genannt.

Das kleine Gotteshaus zu Grotegaste – es hat bis zum Neubau im Jahre 1819 der Gemeinde gedient – sah es nach 1528 gewiss sehr einfach und nüchtern aus. Die wertvollen Kirchengeräte waren von den gräflichen Beauftragten eingezogen worden. Manche Malereien, darunter gewiss auch Fresken – solche wie sie in neuerer Zeit in Vellage und Stapelmoor wieder zutage getreten sind – wurden mit billiger Kalkfarbe übertüncht. Ein wenig trostlos zeigte sich seitdem der Kirchraum. So hat es jene Zeit aber gewollt.

Alle Reste des Spätmittelalters hat man allerdings nicht beseitigt. Nach der späteren Leerorter Amtsbeschreibung  (1730) gab es nämlich aus dem Mittelalter stammend noch etwas zu „sehen“. Es handelte sich dabei um eine Nische mit Holz ausgekleidet in der „Zwergmauer“ bei der Kanzel, die durch eine eiserne Gittertür verschlossen werden konnte. Solche Nischen dienten im Spätmittelalter der Aufbewahrung wichtiger Kirchengeräte. Übrigens sind bei der Restaurierung der Großwolder Kirche auch ähnliche Vorrichtungen zutage getreten. In der Steenfelder Kirche kann man ebenfalls noch Mauernischen feststellen. Offenbar hat man es im Reformationszeitalter nicht für erforderlich gehalten, die kleine Mauernische in der Grotegaster Kirche noch zuzumauern, um damit auch die letzten Hinweise auf die alte Kirche und ihren früheren Zustand auszulöschen.

In Verbindung mit dem spätmittelalterlichen Kirchdorf Grotegaste ist noch ein alter in östlicher Richtung in den Hammrich führender Weg zu bringen, der im Volksmund als „Dodenweg“ bekannt ist. Seinen Spuren folgte der Verfasser im Jahre 1965. Von diesem Weg aus erreichte er nach vielen Schwierigkeiten die erste Beton- oder Wirtschaftsstraße in diesem Gebiet. Unterwegs gab es genug Veranlassungen zu manchen Beobachtungen und Gedanken über die einstige Zweckbestimmung des benutzten Weges. Das aus dem Hammrich nach Lütjewolde zu höher ansteigende Gelände ist vermutlich im Hochmittelalter noch bewohnt gewesen. Hat sich hier einst das Kirchdorf Halingmore befunden? Ein Beweis wird heute nicht mehr zu finden sein, aber der „Dodenweg“ hat zweifellos seine Zweckbestimmung gehabt. Viele Fragen der einstigen Besiedlung bleiben offen. Vielleicht hätten die Zeitgenossen des Reformationszeitalters darüber noch Auskunft geben können.