Das mittelalterliche Esklum. Die Anfänge der Reformation

Das Gebiet des alten Kirchspiels ist schon früh in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten. Als im Hochmittelalter der spätere Flecken Leer noch ein Fischerdorf war, gab es gewiss auf der gegenüberliegenden Seite der Leda schon einige Ansiedlungen auf der kleinen Bodenerhöhung, die vor Überschwemmungen notdürftig schützen konnte. Hier werden ursprünglich Fischer ansässig gewesen sein, die sich später, aber schon lange vor dem Jahre 1000 auch der Landwirtschaft zugewandt haben dürften. Keine Urkunde berichtet uns von dem Beginn eines Kirchenbaues in Esklum, aber ältere Chronisten bezeichnen das dortige Gotteshaus als das erste im westlichen Overledingerland. Bewiesen ist das nicht. Auch wissen wir nicht, ob die heute alte Kirche der erste Kirchenbau in Esklum gewesen ist. In unserem Küstengebiet haben zahlreiche Gotteshäuser schon Holzkirchen als Vorgänger gehabt. Neuere Grabungsuntersuchungen haben das immer wieder bestätigt.

Eine der ältesten noch vorhandenen Urkunden stammt aus dem Jahre 1486. Der Einwohner Wyert Geroldes zu Esklum verkaufte damals der Kommende Muhde eine „beslotene fenne“, also ein Stück Grünland, genannt die kleine Fenne und außerdem noch ein Stück Bauland „uppe Truwynge“. Weiter erhielt die Kommende sechs „dachmet (diemat) meden (Meedland?)“. Als Zeuge war der Hayo Gheroldes, ein Bruder oder Verwandter des Verkäufers, zugegen (Ostfr. UB No. 1167). Der Leerorter Amtmann siegelte die Urkunde.

Offenbar verfügte die Kommende damals noch über ausreichende Geldmittel, um weiteren Grundbesitz im Kirchspiel Esklum zu erwerben. Zehn Jahre später (1486) konnte Muhde nämlich von Wessel Tetkens noch vier Diemat Meedland sowie ein Gras Bauland (ein Gras = knapp ½ Hektar) kaufen. Gesiegelt wurde die Urkunde von dem Pfarrer Hermann zu Esklum und Nennung zweier weiterer Zeugen, einmal des Gert Schulte sowie des „Meester Ludike smeet“. Letzterer dürfte nach seinem Zunamen ein Schmied gewesen sein und hat offenbar in Esklum sein Metier ausgeübt.

Der Pfarrer Hermann ist der einzige vorreformatorische Geistliche, der uns namentlich überliefert worden ist. Auf ihn wird noch in einem nachfolgenden Abschnitt hingewiesen werden müssen. Die ersten Anfänge der reformatorischen Bewegung in Ostfriesland wird Pfarrer Hermann gewiss noch erlebt haben. Bereits 1519 hatte sich der Landesherr, Graf Edzard I., für die Sache Luthers entschieden (Garrels: Die Reformation Ostfr. usw. S. 3). Durch die späteren Auseinandersetzungen zwischen Reformierten und Lutheranern kam aber das Land im 16. Jahrhundert kaum zur Ruhe. Es ist aber wohl nicht anzunehmen, dass die Wellen der reformatorischen Bestrebungen auch das kirchliche Leben in den kleinen Kirchengemeinden des Overledingerlandes sofort in Unruhe gebracht haben. Solche Störungen entsprachen wohl kaum der Mentalität der Bevölkerung, die sich – so auch in Esklum – zunächst nur zögernd der neuen Glaubensrichtung zugewandt hat. Es gab aber Eingriffe des 1528 nach dem Tod seines Vaters zur Regierung gekommenen jungen Landesherrn, des Grafen Enno II. Dieser ließ bald nach seinem Regierungsantritt durch Beauftragte Pfarrkirchen und Klöster des Landes von allen Kostbarkeiten oder Wertgegenständen „räumen“. Diese Sachen wurden nach Aurich geschafft. Über ihren Verbleib hat sich das Tuch des Schweigens gelegt. Es wird den Beauftragten sogar angehängt, sie hätten sich an dem eingebrachten Kirchengut selbst ein wenig schadlos gehalten. Wir erfahren aus dem Overledingerland nichts von etwaigen Protesten der Kirchengemeinden. Welchen Wert das geraubte Gut gehabt haben kann, ist nicht einmal überschläglich zu schätzen.      

In ihren letzten Lebensjahren hatte die Gräfin Anna von Ostfriesland (gest. 1575) die Herrschaft in Ostfriesland auf ihre Söhne Edzard und Johann aufgeteilt. Letzterer erhielt die südlichen und westlichen Ämter übertragen. Wie seine Mutter, so war auch Graf Johann (gest. 1591) der reformierten Lehre zugetan. Im heutigen Gemeindegebiet Westoverledingen waren alle Kirchengemeinden reformiert. Das hing in erste Linie wohl damit zusammen, dass die Pfarrstellen nur mir reformierten Predigern besetzt wurden. Diese bestimmten auch die Glaubensrichtung. Die Gemeindeglieder konnten daran nur wenig ändern. Offenbar waren sie aber nicht in der Lage, einen spontanen Wechsel von der alten zur neuen Lehre zu vollziehen. Das hat Jahrzehnte gedauert.

Die Kirchengemeinden Esklum – im Zuge des Reformationsgeschehens reformiert geworden – ist bis heute dieser Glaubensrichtung treu geblieben. Daran hat auch der seit 1591 allein in Ostfriesland regierende streng lutherische Graf Edzard II (gest. 1599) nichts mehr ändern können. Die Selbständigkeit der Gemeinden war doch so stark geworden, dass sie sich in kirchlichen Dingen, gestützt auf Landtagsakkorde, nicht mehr bevormunden ließen.

Nachrichten aus der Zeit um 1500 lassen vor uns noch das Bild eines kleinen Bauerndorfes entstehen. Im Norden, entlang der Leda zog sich der Deich hin, nach Süden weitete  sich aber die Aussicht in eine weite Hammrichlandschaft. Große Landflächen wurden über das im Osten des Dorfes gelegene Siel entwässert. Dieses Siel wird übrigens auch in der vorerwähnten Urkunde von 1486 (OUB 1167) angesprochen.

Der neue Band III zum Ostfriesischen Urkundenbuch (Verf. Archivdirektor i.R. G. Möhlmann) bringt in der Urkunde No. 743 noch einen interessanten Hinweis auf Esklums spätmittelalterliche Geschichte. In einem etwa um 1500 erstellten Register der friesischen Kirchen im Bereich der Propstei Leer wird Esklum als Kirchspiel aufgeführt. Dieses Register diente dem Offizial von Friesland als Unterlage für seine Inspektionsreisen, die in gewissen Abständen durchgeführt wurden. Bei dieser Gelegenheit erfolgten auch Weihen von Altären, Glocken und wiederhergestellten oder umgebauten Gotteshäusern. Ein Offizial hatte dafür Gebühren zu erhalten. (s. Mitlinger Chronik). Für die Gemeinde war der Besuch eines hohen Geistlichen ein besonderer Tag.

Die Urkundenüberlieferung zur spätmittelalterlichen Geschichte Esklums ist ein wenig dürftig. Das gilt auch für die benachbarten Gemeinden. Invasionen der Münsterschen, aber auch andere Zufälle haben gewiss manches kirchliche Dokument vernichtet, das uns heute überaus wertvoll sein müsste. Gewiss hat auch der um 1500 amtierende Pfarrer Hermann häufiger sein „yngesegel“ einer Urkunde angeheftet, die uns heute nicht mehr zugänglich ist. Zur Geschichte des mittelalterlichen Kirchspiels hätten solche Dokumente gewiss noch manches aussagen können.