Gewerbetreibende, Handwerker und Tagelöhner

Es ist gewiß nicht ohne Reiz, auch einmal die berufliche Struktur einer kleinen Landgemeinde in früheren Jahrhunderten an Hand noch vorliegender Quellen näher zu untersuchen.

 

Für solche Nachforschungen in den Kirchspielen des alten Overledingerlandes bieten sich vor allen Dingen die 1719 erstellten Kopfschatzregister an, die als Besteuerungsunterlagen dienen sollten. Sie enthalten auch berufliche Angaben. Diese Unterlagen ruhen im Nieders. Staatsarchiv Aurich (Dep. I Landschaft). In diesen Akten befinden sich auch nähere Nachrichten über die im Kirchspiel Driever ausgeübten Berufe, von denen natürlich die landwirtschaftliche Betätigung überwog, aber ohne Handwerker kam man damals im Ort auch nicht aus. Leider sind Gewerbe- und Handwerkerakten aus der späteren Zeit (nach 1744) um die Mitte des vorigen Jahrhunderts abgestoßen und von der vormaligen hannoverschen Landdrostei, für weniger wichtig gehalten, als Altpapier verkauft worden. Für die heutigen Wirtschaftsforschung sind daher interessante Aktenvorgänge nicht mehr zugänglich.

 

In einem der ältesten noch erhaltenen Abgabenregister aus der Zeit um 1570 erscheint ein Einwohner Wilke Smit. Er hat offenbar schon den Schmiedeberuf ausgeübt und danach seinen Zunamen erhalten. Das war vor 400 Jahren durchaus üblich. Ein Schmied gehörte damals in jede Bauerngemeinde, in der ihm wegen der vielseitigen anfallenden Arbeit schon eine Existenz geboten werden konnte. Eine zusätzlich betriebene kleine Landwirtschaft bot eine weitere Sicherung der Lebenshaltung.

 

Ähnlich wie Wilko Smit hat auch wohl der 1638 in einem Schatzungsregister aufgeführte Henrich Schnieders (Schneider) seinen Zunamen erhalten.

 

Das 1719 für Driever angefertigte Kopfschatzregister entstand zweifellos unter Mitwirkung des damaligen Predigers, denn dieser führte ja auch die als Ersatz für Standesamtsregister dienenden Kirchenbücher. Letztere waren in alter Zeit die einzigen öffentlichen Nachweise, welche über Personalien Auskunft geben konnten. Nach dem Kopfschatzregister von 1719 gab es im Kirchspiel Driever neben den Landwirten (Herdbesitzer und Warfsleute) auch noch verschiedene Tagelöhner und Handwerker. Was diese Leute durch ihre Handarbeit zur Existenzerhaltung nicht schaffen konnten, mußte die kleine Landwirtschaft zusteuern. Ein 1719 in Driever wohnender Schneider ging sogar als „Kleermaker“ (Kleidermacher) „op syn dachhuir“ aus, gewiß von Bauernhof zu Bauernhof. Diesen „Außendienst“ hatte wohl ein zweiter Schneider Harm Hindrucks in Driever nicht nötig. Jedenfalls wird von diesem nicht berichet, daß er außerhalb des Hauses auf Arbeit ausging.

 

Als „Smit“ zu Driever wird uns 1719 Barteld Janssen vorgestellt. Seine Hammerschläge auf dem Amboss waren wohl im ganzen Dorf zu hören. Von einem tüchtigen Dorfschmied wurden übrigens in längst vergessenen Tagen viele Fertigkeiten verlangt. So mußte er Maueranker, selbst Türschlösser und vor allen Dingen Nägel in den verschiedensten Längen und Größen herstellen können. Alteisen war ein wertvoller Rohstoff. Dieses Material wurde keineswegs fortgeworfen, sondern gesammelt und dann wieder zu gebrauchsfertigen Stücken zusammengeschmiedet.

 

Dorfschuhmacher – auch Vertreter dieses Berufes gab es früher schon in Driever – zogen ebenfalls von Haus zu Haus, um Flickarbeiten bei Landwirten auszuführen. Es gab Schuhwerk zu reparieren und Geschirre auszubessern. Gearbeitet wurde mit „Pickdraht“, gewachsten Schnüren und einfachen Handwerkszeug, das leicht mitgeführt werden konnte.

 

Einer der frühestens bekannten Wirte in Driever und vermutlich schon Höker war 1737 der „Zapfer“ Detert Tebben, der in einer alten Schulakte erwähnung findet. Jedenfalls ist damit eine Schenke im Dorf schon zweieinhalb Jahrhunderte zurück nachweisbar.

 

Im Anfang des vorigen Jahrhunderts betätigte sich in Driever der Einwohner Aylt Jans als Krämer und Schenkwirt. Im Jahre 1836 wollte er seinem Schwiegersohn M.J. Tammling aus Jemgum sein Warengeschäft übertragen. Tammling war von berufswegen Zwirnmacher und Kalkbrenner. Die Auricher Landdrostei wollte dem Gesuch entsprechen, sie machte aber Tammling zur Auflage, auf keinen Fall Spirituosen innerhalb seines Warenhandels zu verkaufen.

 

Drei Jahre später (1839) verstarb der Schwiegervater Aylt oder Aeilt Jans(sen). Tammling mußte schon die Schenke übernehmen und beantragte deshalb, die Konzession auf ihn zu übertragen. In seinem Gesuch machte er deutlich, daß in dem Lokal des Schwiegervaters die Deich- und Sielachtsversammlungen abgehalten wurden. Auch aus dem lebhaften Durchgangsverkehr ergab sich die Notwendigkeit dieser Gaststätte in Driever. Es wurden sogar schriftliche Unterlagen gesammelt, um dem Amt und der Landdrostei die Dringlichkeit einer positiven Entscheidung vorzustellen. Zu den Unterzeichnern des Gesuchs gehörten viele Landwirte und maßgebliche Persönlichkeiten, darunter:

 

                                               Bauernmeister (Vorsteher) B. Beening

                                               Deichrichter J.H. Fresemann

                                               Kirchenvorsteher M. Groeneveld

                                               Sielrichter Johann Lühring

                                               Kirchenvorsteher P. Sterrenberg

                                               Armenvorsteher L. Müller und Heere Fresemann.

 

Schließlich unterschrieben neben zahlreichen weiteren Einwohnern noch Bauermeister (Ortsvorsteher) O.U. Peters, Grotegaste und sogar Pastor Pannenborg. Dieser „Volksmeinung“ zur Erhaltung der Schenkwirtschaft und deren Übernahme durch Tammling konnten sich die zuständigen Behörden wohl kaum verschließen. Unter dem 15. Oktober 1839 wurde Tammling die Konzession erteilt. Nach noch erhaltenen Registern zu den um 1850 ausgesonderten Akten der Landdrostei Aurich, hatte 1779 ein namentlich nicht mehr feststellbarer Schmied für die Berufsausübung in Driever die Erlaubnis nachgesucht. Möglicherweise handelt es sich bei diesem um den Vorfahren eines Jahrzehnte später in Esklum wohnenden  Jann Dirks Veenekamp. Dieser wurde 1808 als Sohn der Eheleute Dirk Ecken Veenekamp und der Ehefrau Folke Harms zu Driever geboren. Das Schmiedehandwerk dürfte in dieser Familie lange vertreten gewesen sein. Weiter erfahren wir aus den vorerwähnten Registern, daß sich 1802 ein Schuhmacher sowie 1804 ein Schneider um die Erlaubnis zur Berufsausübung in Driever bemüht haben.

 

Der bereits vorher angesprochene Krämer und Wirt Marten Tammling hat sich auch noch nach 1850 eifrig in seinen Geschäften betätigt. Er soll ein beliebter Wirt gewesen sein, der manchen Gast, auf der Durchreise befindlich, bei sich einkehren sah. Wer in der späteren Zeit, aber auch noch in unserem Jahrhundert, das Geschäftshaus betrat, sah dort gewiß die Einrichtung noch so, wie sie zu Tammlings Zeiten gewesen ist. Die Warenhandlung befand sich gleich beim Eintritt. Noch vor Jahren konnte man dort das Bild einer altväterlichen Geststube mit Handlung in sich aufnehmen. Hiner dem Tresen befand sich an der Wand eine große Schrankanlage mit Schubkästen für lose Waren. Über dem Verkaufstresen hing ein großes verschlungenes Bett zur Aufnahme der hier aufzuhängenden Tüten. Über den Tresen wickelte sich der Einkauf des Kunden ab, und zwar in der gemütlichen Atmosphäre einer Welt, die noch nicht von der Hast und der Unruhe dieser Tage erfüllt gewesen ist. Diese Zeit wird nie wiederkehren.

 

Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts muß es im alten Kirchspiel Driever auch zwei Produktionsbetriebe gegeben haben. Den ältesten handelsgerichtlichen Eintragungen der sechziger Jahre beim Amtsgericht Leer ist nämlich zu entnehmen, daß damals auch der „Ziegelfabrkant“ Arend Boekhoff in Klostermuhde registriert gewesen ist. In Driever gab es in jener Zeit die Kalkbrennerei des Kaufmanns und Schenkwirts Marten Tammling.

 

In Kalkbrennereien jener Zeit wurden Muschelschalen zu Kalk verarbeitet, und zwar in einem weniger komplizierten Verfahren. Unter Verwendung von viel Leichttort wurden große Haufen aufgeschichtet und soweit das ältere Nachrichten erkennen lassen, luftdicht verschlossen. Nur je ein Ein- und Ausgang für die Feuerstelle und den Rauchabzug wuden gelassen. Nach dem Abbrand wurde der gewonnene Kalk entweder zu Düngezwecken oder als Mauerwerk verkauft. Zum Vermauern und Verstreichen von Ziegeldächern fand der Muschelkalk eine nützliche Verwendung. Die Nachfrage war vor 100 bis 125 Jahren noch eine sehr gute. Dann aber bot schon die Kalkindustrei ihre Wahre zu vorteilhafteren Bedingungen an. Die ländliche Kalkbrennerei lohnte sich nicht mehr. Das hat gewiß auch wohl den rührigen Wirt Tammling  veranlaßt, seine Kalkbrennerei wieder eingehen zu lassen.

 

An handwerklichen und gewerblichen Initiativen hat es gewiß im alten Driever nicht gefehlt. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten, aus der Situation jener zeit geboten, hat man auch in längst vergangenen Tagen zu nutzen verstanden. Einige Handwerker hat es immer gegeben, die für den örtlcihen Bedarf gearbeitet haben. Sie wirkten noch in einer Zeit, die ihrem Metier goldenen Boden versprach, unter der Voraussetzung, daß auch die Landwirtschaft verdiente und Geld hatte. Nach dem bekannten Sprichwort hing davon immer viel ab.

 

Vor langen Jahrzehnten gab es in Driever noch zwei Warenhandlungen, außerdem den Schmiedebetrieb des Einwohners Buss. Dieser übergab 1938 die Werkstatt dem Schmiedemeister Conrad Meyer aus Weener. Letzterer kaufte die Besitzung wenig später. In nächster Nachbarschaft betreib am Ortsausgang Gerhard Kruizenga seine Gastwirtschaft verbunden mit Kolonialwarenhandlung. Johannes Byl hatte eine Handlung mit Brennmaterialien, Futermitteln, Kartoffeln und Gemüse. Ein weiteres Lebensmittelgeschäft mit Bäckereibetrieb der Einwohner Gerdes, das heute von seinem Sohn fortgeführt wird. Die vorerwähnten Angaben beziehen sich teilweise auf Nachrichten aus den dreißiger Jahren, darunter aus dem Anzeigenteil des 1932 herausgegebenen Buches „Der Kreis Leer“.