Auf einem Bauernhof an der Leda im vorigen Jahrhundert
Gewiss wäre eine Gemeindchronik allzu nüchtern verfasst, wenn auch nicht auf volkskundliche Vorgänge eingegangen würde, die sich im täglichen Verkehr der Gemeinde Esklum abgespielt haben. Nun stand dem Verfasser für diese Unternehmungen kein „Hausbuch“ mit zeitgenössischen Berichten eines ortsansässigen Landwirts längst vergangener Zeiten zur Verfügung. Zum Glück konnte er aber Einsicht in alte Jahresbände des der älteren Generation noch gut bekannten Leerer Anzeigenblattes nehmen, aus denen viele Details zu entnehmen waren, die sich im Bereich der Gemeinde Esklum abgespielt haben. Allerdings darf man diese Nachrichten nicht kritisch durch die Brille unserer Tage betrachten. Sie kommen noch aus einer Zeit, die ihre eigenen Prinzipien und Gewohnheiten hatte.
Sprickenborg oder auch Spriekenborg an der Leda, ein einzelner Bauernhof, den es noch heute gibt, und der postalisch von Esklum versorgt wird, gehört eigentlich nicht mehr zum alten Gemeindebezirk. Wenn dieser Platz aber in nachstehenden Ausführungen angesprochen wird, dann nur wegen seiner interessanten Auktionsanzeige vom Jahre 1850, die sich auf eine vom Landwirt Ontje Kromminga beabsichtigte Versteigerung landwirtschaftlichen Inventars bezieht.
Zum Verkauf kamen damals:
„Tillforden, Deichkarren, Karne (Butterkarne) und Stremtine, eine Käsepresse, Käsefässer, vierzig Milchbaljen (zum Abrahmen) Kesseleimer aus Kupfer sowie eine Anzahl Joche oder Jücks“.
Das weiter angebotene „Drankfatt“ diente wohl zur Sammlung von Spülwasser und Abfällen. Selbst ein anderthalb Lasten (ca. 60 Zentner) tragendes Boot gehörte mit zur Betriebsausstattung des Hofes Spriekenborg.
Hier wird uns angedeutet, dass auf einem Deichplatz jener Zeit doch eine umfangreiche Milchwirtschaft und Viehhaltung betrieben worden ist. Die Milcherzeugung musste noch auf den Höfen verarbeitet werden, denn Genossenschaftsmolkereien hat jene Zeit um 1850 noch nicht gekannt. Die ersten kamen erst vor und nach der Jahrhundertwende auf.
Der Bauernfrau oblag damals mit der Hausbutterei und der Verkäsung der Magermilch ein erhebliches Stück Arbeit, die zu einer großen Belastung führen musste. Das galt auch für das weibliche Dienstpersonal. Arbeitssparende Maschinen waren noch nicht zu kaufen. Erst um die Jahrhundertwende kamen die ersten brauchbaren Mähmaschinen und Geräte für die Heuernte in die Betriebe.
Ein besonderes Problem war der Verkauf von Butter und Magerkäse – letzterer auch Lederkäse genannt – Produkte, die im Sommer einer niedrigeren Preistendenz aus gesetzt gewesen sind. Es gab Butterhändler in Leer, die laufend Butter von ihren Bauernkunden aufkauften. Einfach war es selbstverständlich, volle Fässer abzunehmen, es wurden aber auch kleine Partien von solchen Produzenten angeboten, die nur wenige Kühe besaßen. Vor einer gleichbleibenden Qualität konnte dann keine Rede sein. Der Händler musste die Buttermengen nochmals durcharbeiten und notfalls nachsalzen.
Um 1850, aber auch noch etwas später, war Dienstpersonal noch ausreichend zu bekommen. Auf den Plätzen an der Ems sowie der Leda dienten vielfach junge Leute aus dem „Busch“, richtiger den Geestdörfern des Overledingerlandes und den dortigen Kolonien. Die Löhne warn in der heutigen Vorstellung niedrig. Ein Großknecht verdiente in bar in etwa den Wert einer Milchkuh, die Großmagd etwas weniger. Für Kleinknechte wurden selbstverständlich geringe Löhne gezahlt.
Im Jahre 1859 wurde von der hannoverschen Regierung eine neue Dienstbotenordnung herausgegeben. Recht vorsichtig wurde aber zugelassen, dass Dienstverträge nach den alten Praktiken in Ostfriesland noch nicht verboten sein sollten. Das war allerdings sehr zweckmäßig, denn das Verhältnis eines Dienstherrn zu seinem Personal war in unserem Gebiet doch ein wenig anders ausgerichtet, als etwa auf dem ostelbischen Rittergut.
Bemerkenswert erscheint aber, dass nach der neuen Dienstbotenordnung der Hausherr grundsätzlich das Personal einstellte. Die Befugnisse der Hausfrau bezogen sich höchstens auf die Einstellung von Mägden. Für Dienstantritte und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses galten genaue Termine. In Krankheitsfällen, die durch den Betrieb verursacht wurden, hatte der Dienstherr für sechs Wochen die „Curkosten“ zu tragen. Wer ohne Grund den Dienst verließ, konnte polizeilich zurückgeholt werden. Auch das wurde in Hannover bestimmt.
Bis vor hundert Jahren entwickelte sich der Geldverkehr auf unseren Bauernhöfen in Ostfriesland noch nach anderen Währungssystemen, als in unseren Tagen ab. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde sogar noch vielfach in holländischen Gulden abgerechnet und bezahlt. Standardmünze war der Reichstaler, umgerechnet drei der späteren Markstücke entsprechend. Die Talerrechnung hatte sich so eingebürgert, dass die Alten bei der seit 1874 erfolgten Umstellung des Währungssystems auf Dezimalrechnung (eine Mark gleich 100 Pfennig) im täglichen Verkehr noch immer an der Talerberechnung festhielten. Als Goldmünze war die Pistole im Umlauf. Sie galt fünf Reichstaler Gold oder 15,- Mark. Als der Esklumer Schmiedemeister Veenekamp bei seinem Ortspfarrer um ein Darlehn zum Hauskauf im Ort vorsprach, lieh ihm dieser hundert Pistolen, also umgerechnet fünfhundert Taler Gold. Hypotheken wurden überhaupt damals noch gern in Pistolenbeträgen gegeben. Kleingeldmünzen waren Gutegroschen und Pfennige, in der älteren Zeit Süber, Ohrt, Schaf und Witten.
Landmaße waren Diemat und Gras, für Ackerländereien Hinweise auf ihre Einsaatmengengröße, Tonne und „Veerp“.
Nach der Reichsgründung im Jahre 1871 war man am Werk, einmal die Dezimalrechnung im Geldverkehr einzuführen, sich aber auch auf metrische Maßsysteme umzustellen. Das musste zweifellos zunächst viele Probleme aufwerfen, mit de die ältere Generation aber fertig zu werden hatte. Auch ein Landmann wurde damit konfrontiert. Er musste lernen, völlig umzudenken. Neue Tabellen, schon vor der 1874 eingeleiteten Umstellung herauszugeben, konnten vielleicht ein wichtiges Hilfsmittel bieten. Die Grundbuch- und Katasterämter hatten ihre Unterlagen nach Hektar, Ar und Quadratmeter zu berichtigen. Bei dem hohen Stand des Volksschulwesens bereitete es gewiss keine Schwierigkeiten, den Rechenunterricht der neuen Situation anzupassen. Neue Banknoten der Reichsbank sowie Gold- und Silber- sowie Kleingeldmünzen kamen in den Verkehr. Das alte Geld wurde diesem entzogen. Der Kaufmann berechnete seine Textilien nicht mehr nach der altertümlichen Elle, sondern nach Meter und Zentimeter. Hohlmaß war künftig ein Hektoliter gleich hundert Liter. Dass vor hundert Jahren darüber viel gejammert wurde und sogar in den Zeitungen die neuartigen Berechnungsmethoden als eine wahre Landplage hingestellt worden sind, half kaum etwas. Man musste mit den Umstellungen fertig werden und das ist dann auch überstanden worden.
Der Verfasser glaubte, einmal diese Entwicklungsvorgänge, die jeden Bauernhof und seinen Besitzer im Esklumer Gemeindegebiet vor hundert Jahren berührten, etwas ausführlicher ansprechen zu müssen. In jener Zeit machte sich übrigens schon ein Trend von altväterlichen extensiven zu intensiven Wirtschaftsmethoden bemerkbar, gefördert durch die landwirtschaftlichen Berufsorganisationen. Den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts bleib in dieser Richtung viel vorbehalten. Alle Maßnahmen, erinnert sie an den ostfriesischen Stammviehzüchterverein und den Hauptverein oder das Genossenschaftswesen, alle diese Einrichtungen haben sich zum Segen der heimatlichen Landwirtschaft ausgewirkt. Das wird man heute gern zurückschauend konstatieren dürfen.