Die Landwirtschaft im Ausgang des 16. Jahrhunderts
In der Zeit um 1598 mussten einmal wieder neue Viehregister angefertigt werden, für die Vögte und Schüttmeister der einzelnen Gemeinden die notwendigen Angaben dem Leerorter Amt zu übermitteln hatten. Wir wissen nicht, wie sich ein solcher Zählvorgang in der Praxis abspielte. Es ist möglich, dass die Beauftragten gewissenhaft durch alle Ställe gegangen sind und sich dann der Vogt, der auf jeden Fall die Kunst des Schreibens zu beherrschen hatte, die notwendigen Notizen machte. Fehlerquellen – etwa durch unrichtige Angaben – waren gewiss nie auszuschließen. Für seinen Viehbestand hatte jeder Besitzer zu festgesetzten Terminen Abgaben zu entrichten. Der Berechnung dienten die auf den neuesten Stand gebrachten Register.
Gezählt wurden um 1598 einmal Pferde, dann getrennt Milchkühe, Twenter und Enter. Diese Zählpraxis gibt heute noch Möglichkeiten, uns einmal eine Gesamtübersicht zu erstellen, aber auch die Namen der einzelnen Viehhalter zu ermitteln. Betriebe, in denen über 30 Kopf Vieh gehalten wurden, gab es nur zwei, nämlich die zu Coldemüntje. Offenbar bildete diese Siedlung mit Hilkenborg einen Zählbezirk. Grotegaste wurde mit Dorenburg erfasst.
Eine Aufrechnung ergibt folgendes Ergebnis:
Pferde | Kühe | Twenter | Enter | Betriebe | |
Hilkenborg
|
10 | 61 | 10 | 3 | 12 |
Coldemüntje |
5 | 48 | 6 | 14 | 2 |
Grotegaste |
10 | 92 | 10 | 10 | 16 |
Pastorat
|
1 | 9 | 2 | - | 1 |
26 | 210 | 28 | 27 | 31 |
Abgesehen von den beiden Betrieben in Coldemüntje waren die Viehbestände im Kirchspiel gemessen an heutigen Vorstellungen nicht gerade beachtlich. Auffallend ist auch die geringe Zahl der Pferde. Es ist unerfindlich, wie ein Halter von sieben oder gar elf Kopf Großvieh seine Heuernte hereingeholt hat. Es gab in der Gemeinde neun Viehhalter, die nur eine oder höchstens zwei Kühe besaßen. Das waren Tagelöhner gewesen sein, die auf den Bauernplätzen im Sommer bei der Ernte geholfen haben. Rechnen wir auch noch einige Halter von drei bis vier Kopf Vieh ab, dann ergibt sich für die vorhandenen Bauernplätze eine Ziffer, die auch mit der einer späteren und neueren Zeit übereinstimmen dürfte.
Dass ein Betrieb mit einem Dutzend Tieren mit einem Pferd auskam, erscheint etwas erstaunlich, insbesondere, wenn zu bedenken ist, dass die Tragfähigkeit eines Wagens in früheren Jahrhunderten doch weit unter der eines bäuerlichen Gefährts der neueren Zeit gelegen hat. Die Heuernte dauerte länger und bis sie unter Dach und Fach gebracht war, konnten Wochen vergehen. Es wurden in dieser Zeit zweifellos viele Arbeitskräfte gebraucht, die sich aber zum Teil aus der eigenen Gemeinde durch Beschäftigung der sogenannten „kleinen Leute“ bereitstellen ließen.
Knechte und Mägde kamen aus dem „Busch“, den östlich gelegenen Geestbezirken des Overledingerlandes. Allerdings wurde offenbar ständiges Personal nicht allzu reichlich gehalten. Die Stammarbeitskräfte stellten wohl die in den Deichortschaften lebenden Tagelöhner, die ja immer auf Barverdienst angewiesen waren.
Über die Qualität des gehaltenen Viehs liegen uns nähere Angaben nicht vor. Die Milchleistung dürfte aber weit unter den heutigen Ergebnissen gelegen haben. Der gute Boden machte es aber möglich, wenigstens einigermaßen genährtes Vieh zu halten, im Gegensatz zu den dürftigen Viehbeständen in den östlichen Geestdörfern, deren Zustand nach späteren Berichten ein recht jammervoller gewesen sein muss.
Nach dem besprochenen Viehregister wurde in der Gemeinde Grotegaste um 1600 fast ausschließlich Viehzucht und Milchwirtschaft getrieben. Ein Problem war gewiss die möglichst günstige Milchverwertung in der altväterlichen Hausbutterei und Käserei. Im Sommer fielen doch erhebliche Milchmengen an. Immerhin waren es über 200 Milchkühe, die gehalten worden sind.
Milchverarbeitende Betriebe (Molkereien) waren damals noch nicht denkbar und deshalb blieb es den Frauen der Platzbesitzer vorbehalten, zu möglichst günstigen Butterausbeuten zu kommen. Dabei traten unter den primitiven Voraussetzungen natürlich Probleme auf. Die tägliche Milch musste in Satten im Milchkeller oder in der Milchkammer zur Aufrahmung kommen. Je nach Jahreszeit konnte dann der Rahm, wenn er sich genügend an der Oberfläche der Milch abgesetzt hatte mit einem Löffel oder gar der Hand abgeschöpft werden. Da wir den Fettgehalt der Milch nicht kennen, aber auch über das Milchaufkommen je Kuh nur vage Berechnungen anstellen können, lassen sich kaum Berechnungen der Butterausbeute oder richtiger des Kg-Verbrauchs je Pfund Butter anstellen. Er wird gewiss näher bei 20 Kilogramm als niedriger gelegen haben. Dabei spielten auch die Fettverluste bei der Abrahmung eine Rolle.
In Butterfässern wurde dann – in großen Betrieben im Sommer wohl täglich – der saure Rahm verbuttert. Der Stößel im Fass musste mit der Hand auf und ab bewegt werden, sofern nicht auf einen mechanischen Antrieb – durch den Pferdegöpel oder ein Hundrad – zurückgegriffen werden konnte. Die fertige Butter konnte nur an Kaufleute veräußert werden.
Butterhändler gab es in Weener und Leer, besonders im letzteren Flecken. Der Handel bestimmte auch den Preis. In dieser Beziehung war damals der Milcherzeuger recht abhängig. Das galt auch für den Absatz von Käse, der aus der anfallenden Magermilch, nach Absatzlage auch aus Süßmilch, fabriziert worden ist. Den Magerkäse aus Magermilch bezeichnete man allgemein als „Lederkäse“, und zwar wegen seiner trockenen und schlechten Konsistenz. Er wurde aber mit Kümmel durchsetzt gern als Brotbelag verkonsumiert, insbesondere wegen seiner Billigkeit von den ärmeren Volksschichten.
Der Gesamtbestand an Jungvieh zwecks späterer Auffüllung der Bestände war um 1598 auffallend gering. Die gehaltenen Kälber wurden damals anscheinend nicht mitgezählt. Da Enter und Twenter nur 25% der Kuhbestände ausmachten, liegt die Vermutung nahe, dass immer viel Jungvieh auf den nahen Märkten als Weidevieh abgesetzt worden ist und daraus möglichst viel Bargeld für die Wirtschaftsführung beschafft wurde.
Hinweise auf Reichtum und Überfluss im alten Kirchspiel Grotegaste werden uns nicht gegeben. In jener Zeit Platzbesitzer zu sein, war keineswegs eine leichte Aufgabe, insbesondere, wenn gelegentlich Deich- und Sielunterhaltungskosten reichlich anfielen. Staatliche Hilfen gab es dafür nicht.