Nachrichten aus einem Handbuch von 1823

Im genannten Jahr gab der hannoversche „Canzley-Rath“ Ubbenlohde ein Repertorium „über das Königreich Hannover“ im Druck heraus, ein ansehnliches Nachschlagewerk, das damals gewiß auch in die Hand eines Beamten, Ortsvorstehers und Geschäftsmannes gehörte. Die gesamte Verwaltungsstruktur Ostfrieslands mit den verschiedenstens weltlichen und kirchlichen Behörden wird in diesem Buch dargestellt. Ortsverzeichnisse mit Angaben über die damaligen Bevölkerungszahlen – offenbar nach einer Zählung von 1822 – bilden ein interessantes Beiwerk, das auch dem Ortsgeschichtsforscher wichtige Angaben vermitteln kann.

 

Aus Ubbenlohdes Werk sind die Einwohnerzahlen in den einzelnen Ortsteilen des Kirchspiels Driever herausgesucht worden. Es ergibt sich dann folgende Übersicht:

 

            Ortsteil                        Feuerstellen                             Einwohner

 

            Driever                                23                                         162

            Lütjedriever                                       3                                           17

            Muhde                                              6                                           49

            Weekeborg                                       5                                           32

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Als kirchliche und politische Einheit war Driever in jener Zeit eine Zwerggemeinde. In der hannoverschen Verwaltungspraxis wirkte das aber keineswegs störend. In dieser wurde sogar von kleinen aus wenigen Gemeinden bestehenden Amtsbezirken ausgegangen. Das Driever benachbarte Rheiderland war beispielsweise in zwei Amtsbezirke, Jemgum und Weener, aufgeteilt. Die alte Vogtei Esklum gehörte vor 150 Jahren bis auf Mitling-Mark und Völlen zum Amt Leer, während der östliche Teil des Overledingerlandes dem Amt Stickhausen zugeteilt gewesen ist. Für Driever waren Amt und Amtsgericht Leer zuständig. In postalischer Beziehung wurde die Gemeinde vom Postamt Leer versorgt. Eine Postzustellung von dort erfolgte aber noch nicht. Etwaiges Postgut mußte ein Bote aus der Gemeinde Leer abholen und dann in den einzelnen Orten zustellen.

 

Die Errichtung der weltlichen Gemeinde Driever – von einer politischen konnte man in der strengen Auslegung noch nicht sprechen – erfolgte seit etwa 1819 im Zuge der damals durchgeführten Verwaltungsneuordnung. Der Bauernmeister oder auch Bauermeister (Vorsteher) war noch nicht ein frei gewählter Vertreter seiner Gemeinde, sondern in erster Linie Diener des Staates, dessen Interessen er zu vertreten hatte. Das paßte anfangs keineswegs zur Einstellung der ostfriesischen Bevölkerung. Die neuen Vorsteher waren über ihre Aufgabenstellung nicht gerade erfreut. Ärgerlich war das Verhalten der sich ihnen gegenüber gern als Vorgesetzte aufspielenden Amtsvögte, die als Mittler zwischen Bevölkerung und Amt fungierten. In der gesamten Verwaltung blieb unverkennbar, daß die Gewalt ausschließlich von einem Obrigkeits- und Polizeistaat ausging, dessen Beamte alles nach Vorschrift bestimmten.

 

Doch kehren wir lieber noch einmal in Gedanken in die kleine Gemeinde Driever vor 150 Jahren zurück. Bei Zählungen wurde nicht von Wohnungen (Wohnhäusern) ausgegangen, sondern von der Zahl der „Feuerstellen“. Selbst im benachbarten Oldenburgischen wurde so verfahren. Das hing gewiß mit Praktiken aus früheren Jahrhunderten zusammen, als in Ostfriesland noch die Schornstein- oder Feuerstättenschatzung gehoben wurde. Darüber liegen beispielsweise Heberegister aus dem 17. Jahrhundert vor. Wer sich im 18. Jahrhundert beispielsweise ein neues Haus erbaute, gab eine jährliche Abgabe in Form des „Rauchhuhns“.

 

Im alten Ostfriesland hatten die Häuser auf dem platten Land in der Regel nur einen Schornstein. Lediglich große Bauernhäuser verfügten über zwei. Eine Feuerstelle ist daher im allgemeinen wohl einer Wohnung gleichzusetzen. Daß diese Auffassung stimmt, zeigt auch ein Vergleich der für die Zeit um 1880 über den Gemeindebezirk Driever vorliegenden Zahlen. Damals gab die Zählung einen Bestand von 39 Wohnungen. Die Bevölkerung belief sich auf 265. Gegenüber 1822 waren somit kaum Veränderungen eingetreten.

 

Um die Mitte der siebziger Jahre (Oktober 1874) wurden in allen politischen Gemeinden Standesämter eingerichtet. Bis dahin hatten die Ortsgeistlichen nicht nur ihre Amtshandlungen in Kirchenbüchern festzuhalten, sondern auch Geburts-, Heirats und Sterbedaten genau zu registrieren. Eheschließungen erfolgten durch Trauung bei einem Pastor. An zwei Sonntagen vorher hatte das Aufgebot durch Kanzelabkündigung zu erfolgen. In der älteren Zeit scheint sogar das dreimalige Aufgebot in der Kirche üblich gewesen zu sein.

 

In der voraufgegangenen Zeit der französischen Besetzung (1811- 1813) wurde Ostfriesland ein Bestandteil des napoleonischen Kaiserreichs. Den Pastoren wurde die Befugnis entzogen, rechtlich gültige Standesamtsaufgaben zu erfüllen. Ihre Amtshandlungen (Taufen, Trauungen, Beerdigungen) haten nur privatbürgerlichen Charakter und waren für den Gesetzgeber ohne Bedeutung. Es darf, um Wiederholungen zu vermeiden, in diesem Zusammenhang auf den längeren verwaltungshistorischen Abschnitt der Völlener Gemeindechronik (im Besitz der Gemeinde Westoverledingen) verwiesen werden.

 

Jene Welt vor 150 Jahren hatte noch Verhältnisse aufzuweisen, die keine Spur von demokratischen Freiheiten eines Staatsbürgers in der heutigen Vorstellung zeigten. Das wäre für einen hannoverschen Beamten auch unfaßbar gewesen. Nun sollte man aber nicht glauben, die alten Overledinger wären Duckmäuser oder dienende Untertanen gewesen. Gegenüber behördlichen Zumutungen konnten die alten Overledinger doch manchmal ein starkes Rückgrat zeigen.