Wiebke Nehuis aus Esklum in Ghana (2003 - 2004)

Ein freiwilliges soziales Jahr verbrachte Wiebke Nehuis aus der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Esklum in der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche in Ghana. Begleitet wurde sie in diesem Jahr durch die Norddeutsche Mission in Bremen. 

Wiebke Nehuis lebte in der Stadt Ho in der Voltaregion im Osten des Landes in der Nähe zur Grenze nach Togo. In dieser Stadt ist auch der Sitz der Kirchenleitung der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche in Ghana. Sie arbeitete in Ho in einem Kindergarten und in einem Straßenkinderprojekt, in dem maximal 34 Kinder jeweils dienstags und donnerstags von 16 – 18 Uhr betreut wurden. Wiebke Nehuis gestaltete nicht nur diese Nachmittage mit anderen Mitarbeitern, sondern sie hatte auch auf den regelmäßigen Schulbesuch der Straßenkinder zu achten. Mit viel Herz und Engagement packte sie diese Arbeit an und nutzte auch so oft wie möglich die Gelegenheiten, kirchliches und kulturelles Leben in Ghana kennen zu lernen. Außerdem arbeitete sie an dem Projekt der Eine-Welt-Bibel mit, indem sie für einen schnellen Fluss der Informationen zum Partnersynodalverband, dem Zentralen Synodalverband der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche, in Ghana sorgte.

 

Wiebke Nehuis

Wiebke Nehuis ist auf diesem Foto in ihrem blauen, afrikanischen Kleid zu sehen.


Wiebke Nehuis hat in mehreren Briefen über ihre Arbeit und ihre Erfahrungen berichtet. Die folgenden Auszüge wurden von Pastor Edzard Busemann-Disselhoff zum Partnerschaftssonntag im Februar 2004 zusammen. Der Partnerschaftsonntag wird von den Kirchengemeinden des Synodalverbandes "Südliches Ostfriesland" der Evangelisch-reformierten Kirche und den Gemeinden des "Zentralen Synodalverbandes" der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche in Ghana jeweils am dritten Sonntag im Februar eines jeden Jahres gefeiert.

 

Hallo!

Mir geht es hier nach dem anfänglichen Heimweh einfach „sau gut“! Ich habe mich richtig gut eingelebt und bin sogar von einigen Freunden schon zur "african queen - mama abra I." gekrönt worden. "Mama" ist der Titel der traditionellen Queens und Abra werde ich genannt, weil ich an einem Dienstag geboren bin. Jeder "Geburts-Wochentag" hat seine eigenen Namen.

Also, jeder der vorhat, mal nach Ghana zu reisen sollte unbedingt vorher nachgucken, an welchem Wochentag er/sie geboren ist, danach wird man wirklich ständig gefragt. Außerdem gibt es auch immer lustige Kollekten, bei denen man sein Geld in den richtigen

Geburtswochentag-Korb werfen muss. Am Ende wird dann bekannt gegeben, welcher Wochentag am meisten Geld gegeben hat. Leider sind bei uns in der Kirche die Tuesday-borns nie die Gewinner...

Wie man wahrscheinlich schon merkt, ist das Leben hier anders und irgendwie schon verrückt, wie ich finde. Es ist wohl genau das, was mir anfangs Schwierigkeiten bereitet hat und was ich inzwischen so unglaublich liebe.

Jetzt erst mal zu meinem Tagesablauf. Ich gehe täglich von ca. 8.30-14.00 Uhr in den Kindergarten und helfe dort, den Kindern das englische Alphabet und die Zahlen von 1-20 beizubringen. Der Kindergarten gleicht eher einer deutschen Grundschule und die Kinder nennen mich "teacher wiebke". Richtig Englisch lernen die Kinder eigentlich erst in der Schule, so dass ich mich nur mit Händen und Füßen und meinen sehr, sehr dürftigen Ewe-Kenntnissen mit den Kleinen verständigen kann. Aber Kinder machen's einem leicht und man kann auch "sprachlos" ihre Herzen erobern. 
Die Arbeit macht mir Spaß und dadurch, dass auch zwei Kinder unseres Straßenkinderprojektes in meiner Klasse sind, habe ich eine echte Aufgabe gefunden. Die beiden sind Zwillinge (Atsu & Atsufi) und leben mit ihrer Mutter auf dem Markt. Sie wurden zu spät "entdeckt", so dass sie eigentlich schon zu alt für den Kindergarten sind und somit gleich in die "k2", also die zweite Kindergartenklasse gesteckt wurden. Wir versuchen nun, sie auf das Level der anderen Kinder zu bekommen, was sich als sehr schwierig erweist. Manchmal bringen die beiden mich an den Rand der Verzweiflung und ich frage mich, ob für die beiden nicht schon der Zug abgefahren ist.
Hinzu kommt, dass sie von ihrer Mutter eher schlecht als recht versorgt werden und nie etwas zu essen mit zum Kindergarten bringen, während die anderen Kinder um 12.00 Uhr ihre Dosen, gefüllt mit den tollsten Speisen, auspacken. Darum kaufe ich den Zwillingen jeden Tag etwas zu essen, weshalb mich die anderen Lehrerinnen schon als ihre Mutter bezeichnen und sich immer wieder gerne darüber amüsieren, dass ich als 20-jährige schon 2 elfjährige Kinder habe. .......

In der Pause gehe ich täglich zur Primary School um dort zu checken, ob unsere Straßenkinder auch brav zur Schule gehen. Leider tun die meisten das nicht gerade regelmäßig. Es ist ja auch kein Wunder, wenn man am Markt Geld verdienen kann, indem man irgendwelche Dinge durch die Gegend schleppt und man keine Eltern hat, die einen zur Schule schicken, damit die Zukunft abgesichert wird.

Nachmittags gehen wir nach wie vor 2x die Woche zu den Straßenkinderprojekt-meetings. Dort habe ich angefangen, mit den Kindern Jungscharlieder zu singen und Spiele zu spielen. Das ist eigentlich immer ganz lustig, wenn auch anstrengend; es ist wirklich eine wilde Truppe...
Was das Schlagen der Kinder angeht, so ist es etwas besser geworden. Manchmal legen's die Jungs aber auch echt drauf an und das Schlimmste ist eigentlich, dass es sie nicht mal richtig stört, wenn sie mal „eins rüberkriegen“.

Neben diesen "Pflichten", die ich jedoch gerne erfülle (also nicht das Schlagen, sondern der Kindergarten und die meetings), treffe ich mich öfter mal mit Freunden oder wir sind mit der Jugendgruppe unserer Kirche unterwegs. Der Chor wird ständig irgendwo eingeladen und so kommen wir in der Stadt rum. Vorletzten Sonntag waren wir auf einer Geburtstagsparty und die Leute haben mal wieder begeistert angefangen zu tanzen, als der Chor (natürlich mit Trommeln) einige Stücke präsentiert hat. Das Tanzen gehört hier einfach zum Alltag dazu und besonders gerne möchten natürlich alle, dass die Weißen auch tanzen. Aber dazu lasse ich mich (meistens) nicht bewegen, Klatschen und Mitschunkeln muss reichen.
Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass wir Weißen eigentlich überall eine Sonderrolle spielen. wo wir auch hinkommen, man heißt uns herzlich willkommen und zaubert von irgendwo Stühle her, damit wir auch ja nicht zu lange stehen müssen. die Gastfreundschaft ist wirklich genial, manchmal wünsche ich aber auch, ich wäre schwarz und könnte die Dinge "alltäglicher" erleben. Aber, nun ja, man bleibt immer das weiße Schaf, was natürlich auch oft sehr angenehm ist. 
Es ist übrigens fast beschämend, wie gut die Schwarzen über uns Weiße denken, schließlich können wir uns nicht gerade mit unserer Vergangenheit brüsten. Aber in ihren Augen sind wir "hard working" und innovativ, anders kann man sich unseren Wohlstand wohl nicht erklären.
Die jungen Leute beneiden uns eigentlich am meisten unserer Bildung wegen.Und es stimmt: wir haben es unglaublich gut! Gute Bildung ist hier zu Lande teuer und somit lange nicht für jeden zugänglich. Ständig geht es um die hohen "school fees", das kriegt man auch mit, wenn die Leute sich auf Ewe unterhalten, denn für "school fees" gibt's wohl kein Ewe-Wort.

Letzten Sonntag waren wir auf einer centenary celebration, also einer 100jährigen Jubiläumsfeier, einer Gemeinde in einem Dorf namens Nkonja. Witzig war, dass die Gemeinde 1888 gegründet wurde, somit das Jubiläum also 15 Jahre zu spät gefeiert wurde. Vorher war wohl irgendwie kein Geld für die Feier da, da erst eine neue Kapelle gebaut werden sollte. Das ist so unglaublich typisch, hier passiert so gut wie nichts ohne Verzögerung. 15 Jahre seien ein bisschen viel, wurde mir gesagt, aber 3-4 Jahre Verzögerung bei solchen Jubiläen sei schon üblich...
Der Thanksgiving-Gottesdienst hat dann insgesamt 5 stunden gedauert, aber daran haben wir uns inzwischen ja schon gewöhnt. Aber uns wurde zwischendurch eine Cola gebracht, weil wir ja weiß sind. Niemand sonst hat Cola bekommen, dabei waren wichtige Leute aus Politik und Kirche anwesend.

Was ich noch unbedingt erwähnen muss ist das Essen! Nach wie vor wohnen wir hier in Ho mit einer Familie und inzwischen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir ihnen Geld geben und dafür jeden Abend mit ihnen essen. Wir haben irgendwann angeboten, Geld zu geben, ansonsten hätten sie uns wohl einfach so weiterhin eingeladen, wie es sich nach ghanaischer Gastfreundschaft gehört. Na ja, auf jeden Fall werden wir jeden Abend mit Köstlichkeiten verwöhnt! Ich hab das Gefühl, dass schon immer eine kleine "African lady" in mir steckte, das Essen trifft jedenfalls genau meinen Geschmack! Das Resultat lässt sich nicht verheimlichen, ständig werde ich mit den Worten "Oh, you're growing big!" begrüßt, worauf natürlich alle hier unheimlich stolz sind: "Africa is good for you!". Ich hab hier schon viele Mammis, die scheinbar alle das Ziel haben, mich zu mästen. Die Headmistress unserer Schule kocht morgens für mich und bringt mir Leckereien mit zur Schule, die Lehrerinnen kaufen mir in der Pause was zu essen usw.. und es ist wirklich alles so unglaublich lecker!  
Wenn wir erzählen, dass man bei uns in Deutschland abends hauptsächlich Brot isst, kann das keiner verstehen. Hier wird abends 'heavy' gegessen, da gibt's keine Diskussion. Und dann beschweren sich die Lehrerinnen bei mir im Kindergarten darüber, dass sie alle zu dick sind (und ich muss leider sagen, dass sie Recht haben, hier gibt es wirklich überdurchschnittlich viele dicke Menschen, vor allem Frauen) und fragen mich, wie sie abnehmen können. Die Antwort ist leicht: Sports and no heavy food in the evening! Aber genau das können sie sich ja nun gar nicht vorstellen. tja...

Ach, ich habe übrigens festgestellt, dass schon Advent ist. Das geht völlig an mir vorbei; es ist doch immer noch Sommer!
Hier hat gerade die Mango-Saison angefangen, so dass wir, während wir anfangs vor allem Orangen, Papajas und Bananen gegessen haben, uns nun täglich mit frischen Mangos voll stopfen. Wie soll man da in Weihnachtsstimmung kommen? Wo sind die Kerzen und die Weihnachtsplätzchen, wo der Weihnachtsstress?

"Ghana is good for me", das kann ich nur bestätigen! Insgesamt fällt es mir sehr schwer, das Leben hier zu beschreiben, weil es einfach so anders ist. Eigentlich müssten alle hierher kommen, um Ghana selbst zu erleben. Es sei also jedem wärmstens empfohlen!!!......

..... Weihnachten & Neujahr in Ho / Ghana - das etwas andere Erlebnis. Wir schreiben das Jahr 2003 nach Christi Geburt. Die zwei jungen, unternehmungslustigen Mitteleuropäer Kornelius Podranski und Wiebke Nehuis (hier in Ghana als Kodjo und Abra bekannt) haben sich bewusst dafür entschieden, Weihnachten und Neujahr in Ghana zu verbringen. Aus zuverlässiger Quelle wussten sie zwar, dass es anders sein würde, als in ihrer ersten Heimat Deutschland, aber wie nun genau, das galt es herauszufinden..... Auf der Suche nach der altbekannten Weihnachtsstimmung durchschritten sie den Advent. Einigermaßen erfolglos, denn außer den weihnachtlichen Gefühlen, die einmal Mitte Dezember aufkamen, als abends Stromausfall war und eine Kerze angezündet wurde, gab es nicht viel Weihnachtliches zu erleben. vielmehr wurde das Wetter mit der nun begonnenen Trockenzeit immer unangenehmer und heißer. Aber das konnte die beiden keineswegs einschüchtern, geduldig warteten sie darauf, dass sich die Weihnachtszeit nun endlich bemerkbar mache. Geduld - die hatten sie hier in Afrika, wo ja bekanntlich alles ein bisschen länger dauert, schon oft gebraucht. So verstrichen der erste, der zweite und auch der dritte Advent, ohne dass die beiden von einer Weihnachtsfeier zur nächsten hetzen, sich die immer gleichen Weihnachtslieder im Radio anhören und sich Gedanken über Weihnachtsdeko und Weihnachtsgeschenke machen mussten. Am 4. Advent schließlich, als die Gemeinde in Santrokofi, einem Dorf ganz in der Nähe von Hohoe, ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, gab es dann die ersten weihnachtlichen Gedanken in einer Predigt des Moderators Dr. Buama, der betonte, dass Weihnachten nicht nur aus "fufu + palmnut-soup" (also Essen) bestehe, sondern dass Christus neu in uns geboren werden solle. Einen Tag später folgte dann die Weihnachtsfeier mit der Kirchenleitung + allen Angestellten. Von 2 Chören unterstützt, wurden Weihnachtslieder gesungen (z.B."Oh, Tannenbaum" auf Ewe), Bibeltexte gelesen und schließlich gab es auch eine Weihnachtsandacht. Da war sie nun tatsächlich, die lang ersehnte Weihnachtsstimmung, die sich nun trotz der Hitze einstellte (schließlich war die Weihnachtsfeier auch abends, es war also nur noch um die 25° C...) ganz ähnlich verlief dann auch der Gottesdienst am Abend des 24.12., jedoch war die Stimmung noch besser! Obwohl das Programm (wieder einmal) an die 3 Stunden dauerte, war es kein bisschen langweilig, da viel gesungen und getanzt wurde. Am 25.12., also am eigentlichen Weihnachtstag in Ghana, wurde vormittags wieder ein langer Gottesdienst in ausgelassener Stimmung gefeiert. Wie schon von allen angekündigt, wurden die beiden danach von Nachbarn & Freunden mit allen möglichen Leckereien verwöhnt. Geschenke gab es keine, mal eine andere, sehr angenehme Erfahrung. Tatsächlich besteht Weihnachten in Ghana also hauptsächlich aus Essen und insgesamt wird nicht so viel daraus gemacht, wie bei uns. Dafür schien Silvester bzw. Neujahr das Kirchenereignis zu sein. Am Silvesterabend begann der Gottesdienst um 19.30 Uhr. Was die Länge anbetrifft waren die beiden Mitteleuropäer vorgewarnt, so dass sie sich erst gegen 22 Uhr zur Kirche begaben. Es war unglaublich! Die Kirche war mit etwa 1000 Leuten schon voll und draußen standen schätzungsweise noch mal an die 100 und warteten darauf, hinein gelassen zu werden. Das Programm war sehr abwechslungsreich - es wurde viel gebetet, aber auch gesungen und getanzt. Nachdem sich dann um 24 Uhr alle ein frohes neues Jahr gewünscht hatten (Na ja, fast alle, es waren schließlich an die 1500 Leute), wurde dann noch das Abendmahl gefeiert. Der ganze Gottesdienst ging bis ca. 1:30 Uhr. Am Neujahrstag wurde dann wieder besonders viel und gut gegessen; das spielt eben eine große Rolle hier in Ghana! Wie gesagt: Weihnachten & Neujahr in Ho / Ghana - das etwas andere Erlebnis!....