Walter Schulz, Der Abendmahlsbecher von Driever

Stärker konnte der Bruch mit Rom nicht sein. Schon 1539 beschreibt der Prediger Hermann Aquilimontanus aus dem ostfriesischen Borssum ein Abendmahl, bei dem die Kommunikanten an einem mit weißen Laken gedeckten Tisch sitzen, das Brot brechen und den Wein trinken. In der Gemeinde Driever an der Ems wurde aus einem Hochzeits- ein Abendmahlsbecher.

 

 

 

Der Abendmahlsbecher der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Driever

Im reformierten Protestantismus wurde die Trennung von der katholischen Eucharistie stärker vollzogen als im Luthertum. Sowohl im theologischen Verständnis wie in der liturgischen Form wurden konsequent neue Wege beschritten. Der Heidelberger Katechismus spricht im Blick auf das Abendmahl von `erinnern und gewiss machen`(Frage 75). Für den Abendmahlsgottesdienst sind darum auch keine besonderen liturgischen Gefäße, keine Monstranz, keine Oblatendose, kein Kelch mehr erforderlich. Um so leichter konnten Becher, die ursprünglich aus Anlass einer Hochzeit geschenkt worden waren, nach einigen Generationen der Kirchengemeinde zur weiteren Verwendung beim Abendmahl überlassen werden, wie das Beispielt aus Driever zeigt.

Während Zwingli schlichte Gefäße aus Holz zum Abendmahl bevorzugte, sind in Ostfriesland eine Vielzahl silberner Geräte erhalten, die zum großen Teil schon aus dem 16. Jahrhundert stammen. Manche dieser Becher sind von vornherein für den kirchlichen Gebrauch beim Abendmahl hergestellt, gestiftet oder auch gekauft worden. In anderen Fällen sind es Becher, die man zu einer Hochzeit hat anfertigen lassen, worauf in der Regel aufgebrachte Familienwappen hinweisen. Erst spätere Generationen haben sie dann der Gemeinde geschenkt. Becher aus Silber hatten über ihren Gebrauchswert hinaus auch die Funktion einer Vermögensrücklage, die man bei Bedarf wieder `versilbern´ könnte.

Der Becher aus Driever ist als sogenannter Dornenkranzbecher gefertigt, wie man ihn allein aus Ostfriesland und dem Groningerland kennt. Der Becher trägt nicht die üblichen Stempel des Meisters der Zunft, die Auskunft über seinen Hersteller geben könnten. Wir können daher aber davon ausgehen, dass er um 1700 in Emden oder vielleicht auch in Leer angefertigt wurde. Aus dem oberen Randdekor entwickeln sich ornamentale Einfassungen für die symbolischen Darstellungen der Tugenden, die in ihrer Dreizahl die Oberfläche des Bechers gliedern. Die Tugenden sind jeweils als Frauengestalten dargestellt, die durch weitere symbolträchtige Attribute als eine bestimmte Tugend zu erkennen sind.

 

 

 

Frauengestalt mit einem Kreuz in der Hand

 

 

 

Anker und Taube

 

 

 

Frau mit einem Spiegel in der einen und einer Schlange in der anderen Hand

 

 

 

Die Initialien HH und EM

Die Frauengestalt mit dem Kreuz in der Hand steht für den Glauben. Anker und Taube verweisen auf die Hoffnung.Als dritte christliche Tugend wäre die Liebe zu erwarten, dargestellt als Frau mit einem Kind auf dem Arm, also als Caritas. Der Becher aus Driever zeigt jedoch eine Frau mit einem Spiegel in der einen und einer Schlange in der anderen Hand, ein Symbol für die Tugend `Prudentia, die Klugheit, die zur Vorsicht neigt.`Weshalb der Becher aus Driever die übliche Tugenddarstellung verlässt und statt der Liebe die Klugheit zeigt, ist nicht bekannt. War es mangelnde Kenntnis des Goldschmieds oder war es gar die ausdrückliche Würdigung dieser Tugend, die ein Mann aus Driever bei seiner Auserwählten meinte feststellen zu können?

Auf einer Seite sehen wir jedenfalls die Initialien HH und EM, ein Hinweis auf frühere Besitzer, so dass der Becher, der anlässlich einer Vermählung gegeben wurde, wahrscheinlich zunächst ein Hochzeitsbecher war.

Wegen der Verwendung beim Abendmahl hat man übrigens das im unteren Bereich zu sehende Band gern als Dornenkranz beschrieben, womit der Dornenkranz Christi gemeint war. Man wollte damit einen Bezug zwischen dieser besonderen handwerklichen Form und dem christlichen Gebrauch beim Abendmahl herstellen. Bei älteren Bechern ist dieses Band zumeist als Kordel gearbeitet. Das Band verdeckt an dieser Stelle die Lötnaht, an der der Korpus des Bechers mit dem fuß zusammengefügt ist. Auch wenn der Bezug ursprünglich sicher nicht gewollt war, die Bezeichnung hat sich dennoch durchgesetzt: Dornenkranzbecher.

Walter Schulz im Jahre 2000

Die Fotos wurden freundlicherweise von der Johannes a Lasco Bibliothek zur Verfügung gestellt.